Mio Kaba - Kapitel 4 Die erste Waffe
Noch bevor der Moment richtig anfangen konnte, platzte die Realitätsblase, und ich kann aus erster Hand sagen, dass eine gewaltvoll wieder in Position ruckende Realität auch der Umgebung ordentlich einen mitgibt. Ich wurde nämlich ans andere Ende der Höhle geschleudert und kann froh sein, dass meine Spezies sich vor Stürzen nicht fürchten muss. Nur musste ich jetzt kurz warten, bis das Glibberzeugs völlig aus mir sickert. Was mich überrascht, ist, dass Hra sich nicht im Geringsten bewegt hat. Bin ich so schwach?, wollte ich fragen, sah aber dann, dass sie scheinbar eine hohe Affinität für Erdmagie hat, denn ihre Hufe sind in Steinformen festgeschnallt. Kein Wunder, dass sie nicht wie ich weggeflogen ist. Doch sie schien davon diejenige zu sein, die das nicht versteht.
„Alles okay? Ist das dein erstes Mal, aus Reflex zu zaubern?"
Das ist das Einzige, wie ich mir diese Reaktion erklären kann, aber ist sie dafür nicht schon viel zu alt? Aber es kommt, wie es kommt, doch ihre Antwort hätte ich nicht erwartet:
„Ich habe nur 4 % Fire-Attribut. Ich kann kein anderes Element benutzen."
„Okay, das ist ein wissenschaftliches Mysterium, das ich jetzt unbedingt angehen will!"
Sagte ich neugierig, konnte mich aber wegen dem Gel zwischen Haut und Muskeln noch kein Stück bewegen. Also fragte ich von meinem Hintern auf dem Boden durch die halbe Höhle:
„Okay, ich werde dich jetzt versuchen, durch eine klassische Erdatmung zu leiten. Da wir gerade beide nicht in der Lage sind, uns zu bewegen, beruhigt es vielleicht deine Nerven."
„Okay, was soll ich machen?"
„Mach die Augen zu, dann atme ein und wieder aus. Dabei bewegst du dein inneres Many in deine Hufe und stellst dir vor, wie der Boden deiner Atmung folgt."
Eine Zeit lang passierte nichts, doch dann konnte ich klar sehen, wie sie beim Einatmen ein Stück in den Boden sinkt und beim Ausatmen wieder hinaus. Das ist echt erstaunlich zu sehen. Mir ist das nie gelungen, und ich habe angeblich 76 % Erdattribut. Doch was nützt das mir, der nicht einen Ball außerhalb seines Körpers formen kann? Aber es ist schön, mal zu sehen, wie es eigentlich aussehen sollte. Sie scheint nun auch die Erde mehr zu spüren, denn sie sank immer tiefer und immer höher. Als sie wieder frei war, ist mein Gel auch endlich ausgetreten, und ich wollte gerade versuchen, den Feldprojektor zu tragen, aber Hra war da schneller als ich und sagte nur: „Danke."
Als wir vor meiner bescheidenen Höhle standen, wollte sie mir den Generator nicht geben. Sie sagte nur: „Du bist ein Mann, ich sollte das tragen. Also mach einfach die Tür auf und zeig, wo die Stelle ist, wo er stehen soll, und ich bin wieder weg."
Ich war zu müde, um mich noch dagegen zu wehren, also machte ich auf, zeigte auf die Stelle, sie stellte ihn diesmal besonders vorsichtig ab und sagte kurz noch „Auf Wiedersehen" und ging dann sofort wieder. Ich verstand's nicht, war aber auch zu kaputt, um das zu bedenken. Ich ging noch die Reste des Gels abwaschen und machte mich dann ins Bett.
13 Stunden später
Ich bin seit zwei Stunden wach und habe es noch immer nicht geschafft, alle Runen wieder aufzuladen. Und ich will nicht so viel verbrauchen, dass es gefährlich wird. Nicht mal vier Minuten hat der Versuch mit den Absorptions-Runen rausgeholt, aber es hat gereicht, um zu sagen, dass der Feldgenerator funktioniert. Also ist die Größe der Explosion nun völlig egal. Doch wie wandle ich eine Abstoßreaktion in verwendbare Energie um? Ist das wirklich erst etwas, an das ich jetzt denke? Mein Gott, bin ich ein bisschen dankbar für Hra, dass sie mir die Augen geöffnet hat. Auch das größte Genie kann sich in eine Gasse verirren. Vielleicht sollte ich wirklich eine Pause im Projekt Neues Leben machen – komme ich gerade eh nicht weiter. Und das stört mich unglaublich. Irgendetwas anderes, das mich fordern könnte, dachte ich mir und schaute durch meine Höhle, bis ich einen schon längst vergessenen Prototyp wiedergefunden habe. Ich musste schmunzeln – mein Versuch, eine simple Schneemaschine zu bauen. Vielleicht ist das gerade genau das, was ich brauche: einfach etwas, an dem ich verzweifeln kann. Ich setzte mich also in die Werkstatt und fing an, alles neu zu überdenken. Und dann kommen mir schlagartig ein paar Verbesserungsideen und dann noch ein paar mehr. Ich nahm sogar andere Prototypen auseinander, um jede verrückte Idee, die ich nur hatte, auch zu ermöglichen. Als ich nichts mehr sehen konnte, das Verbesserung braucht, merkte ich erst, dass ich aus meiner kaputten Schneemaschine etwas gemacht habe, das wie eine Waffe aussieht. Und ich merkte, dass sie nicht nur aussah wie eine Waffe – sondern ich gerade eine selbstgebaute Waffe hatte. Ich war davon überzeugt, dass sie nur so aussah, aber es ist komisch. Ich war so vertieft in die einzelnen, kleinen Veränderungen, dass ich das große Bild schon wieder nicht gesehen habe. Aber ich glaube kaum, dass ich einen Handschuh mit großem Rohr am anderen Ende irgendeine Art von Energiequelle gepackt habe. Ich war mir selbst so sicher, dass ich einfach den Auslöser aus Spaß betätigte. Ein ähnliches Licht, wie der Feldprojektor erzeugt hat, schoss aus der großen Öffnung am Ende meines Arms heraus, und ich sah mit aufgerissenen Augen, wie es in die Wand flog. Aber anstelle, irgendwie langsamer zu werden, war es, als würde der Teil der Wand, von dem der Schuss getroffen wird, einfach verschwinden. Ich fing an zu denken: Lebt in diese Richtung jemand? Und atmete erleichtert aus, als ich merkte, dass ich in die dicke, unbewohnte Wand geschossen hatte. Aber was habe ich da für eine Waffe gebaut? Ich gebe ja zu, dass ich mit meinem Kopf bei den weiteren Möglichkeiten der Realitätsverschiebung war. Von Waffen war ich noch weit entfernt, doch während ich an Planetenschutz und Unwetterdefense gedacht hatte, hatte mein Körper eine Waffe auf dem von mir entdeckten Prinzip gebaut – und sie funktioniert. Ich fing an, die Waffe sofort auseinanderzubauen, um zu verstehen, was ich da eigentlich gemacht habe. Und als ich alle Einzelteile vor mir hatte, muss ich stolz kichern.
„Sag mir mal einer! Hunderte Spulen übersät, unterschiedlichen kleinen schwarzen und braunen Runen in Kombination mit dem Kauz aus meiner Kammer – hat eine Seelen löschende Waffe ergeben!"
Ich schaute mir die Runen an und wurde bleich. Zum Glück habe ich nicht noch ein zweites Mal geschossen. Es muss reines Glück gewesen sein, dass mir beim ersten Mal nichts passiert ist, denn das, was ich da als Bauteil benutzt habe, war mein erster Test für Kettenabstoßreaktionen, den ich verlegt hatte. Das hätte böse enden können.
Aber eine Sache erklärt das nicht: Wie ist das realitätsüberlagernde Feld bei dem Haufen Schrott überhaupt entstanden? Und dann sah ich es – eine schwarze Rune ganz am hinteren Ende meiner ersten Waffe war das Zeichen, das ich nicht mal an guten Tagen hinbekommen habe. Und hier war es in Gedanken perfekt platziert, und es hat funktioniert. Ich weiß, warum meine Hand nicht explodiert ist: weil ich genau das wollte. Deswegen habe ich die Rune des Betruges benutzt und habe durch das komplette Benutzen einer Rune des Betruges aus einem absoluten Fehlschlag einen Erfolg gemacht. Ich wusste nicht, ob ich Respekt oder Angst vor meinem unterbewussten Genie haben sollte. Und ich habe eine Waffe. Ich habe mich nie daran gedacht, meine Erfindungen in ein Leben zu richten. Als ich das dachte, merkte ich, dass es nicht mehr stimmte: gestern war ich begeistert wie ein Kind bei dem Gedanken, ein perfektes Gefängnis zu bauen. Hat das was in mir geweckt? Das nächste war eine unglaubliche Waffe. Ich konnte gerade nur noch daran denken, dass meine erste Waffe wahrscheinlich die beste auf dem Planeten ist. Und dann war die Idee fest in meinem Kopf:
„Was könnte ich erschaffen, wenn ich mich voll reinhänge?"