Mio Kaba - Kapitel 2 Der Energiehunger


Ich überprüfte noch mal jeden Strich und jede Rune, nickte dann zufrieden und ging hinter die Barriere in Sicherheit. Ich hatte zwar vollstes Vertrauen, dass ich keine Fehler gemacht habe, aber die letzten 57 Durchläufe wären ohne Barriere wahrscheinlich meine letzten gewesen.

Ich drückte den großen roten Knopf auf der Fernbedienung in meiner Hand und hielt die Luft an, während ich mir die Werte auf den Bildschirmen anschaute. Noch sah alles gut aus – keine schlagartigen Spikes wie beim letzten Mal. Also war es doch die richtige Entscheidung gewesen, lebendes Metall als Kabel zu verwenden. Es hat zwar eine Ewigkeit gedauert, die kleinen Kabel in Position zu bringen, aber es hatte sich ohne Frage gelohnt.

Der erste Alarm war kurz zu hören. Das heißt, wir haben zum ersten Mal die 20-Sekunden-Marke geknackt, und es könnte auch noch mehr werden, dachte ich mir, denn alle Werte waren im grünen Bereich. Ich entschied mich aber trotzdem dagegen, in die Barriere zu treten – sicher ist sicher.

Der zweite Alarm war kurz zu hören. 30 Sekunden und die Reaktion ist immer noch stabil. Ich wollte mich selbst küssen – ich hatte es geschafft! Ein völlig künstlicher Organismus und ich konnte ihn für 30 Sekunden stabil halten.

Doch als ob mich das Schicksal für diesen Gedanken bestrafen wollte, fielen alle Systeme gleichzeitig aus und ich sah, wie die Barriere zusammenfiel und mir den Blick auf eine unkontrolliert wachsende Kugel aus roten Blitzen erlaubte. Ich hatte schon mit dem Leben abgeschlossen, denn ohne Barriere würde diese Explosion mindestens den halben Berg mitnehmen.

Doch mein Notgenerator sprang gerade noch rechtzeitig an und die undurchsichtige Kugel aus Magie schloss sich im selben Moment – und keinen Moment zu früh, denn ich konnte die Explosion sehr gut hören trotz der Isolierungsmaßnahmen, die ich getroffen hatte.

Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und murmelte: „30 Sekunden."


Ich machte mich sofort auf die Suche nach dem Ausfall aller Systeme, aber alles schien okay zu sein – nur die Energie war einfach weg. Ich fragte mich kurz, ob ich vergessen hatte, die Rechnung zu bezahlen, aber erinnerte mich dann daran, dass das ja nicht mal mein Labor ist, sondern das von Herrn Inuo. Wieso ist die Versorgung einfach abgebrochen?

Ich wurde leicht frustriert – ich hatte zum ersten Mal seit Monaten einen Erfolg und dann muss es daran scheitern. Auf dem Weg die Treppen hoch raus aus dem Labor fragte ich mich, wie groß der Schaden am Versorgungsnetz sein muss, wenn es selbst hier zu Ausfällen kommt.

Als ich am ersten Fenster nach der Treppe stehen blieb, wurde mir klar, dass das kein einfacher Schaden ist. Nicht ein Licht leuchtete an den Klippenwänden. Wie viele Leute sind denn bitte betroffen?, fragte ich mich. Und wie passiert so ein großer Blackout aus dem Nichts?

Doch als ich darüber nachdachte, dämmerte mir eine Möglichkeit, über die ich nie hätte zu denken vermögen. Ich rannte wieder ins Labor, legte meine Hand auf das Gerät, das alle Werte aufzeichnet, und startete es manuell. Ich hasste es, direkt mit meinem Körper Magie zu benutzen – das ist viel zu un-intuitiv. Ich ließ mein Many aus der Hand durch die Oberfläche zum Herzen der Maschine laufen und war froh, dass es beim dritten Anlauf funktionierte.

Ich rief die Aufzeichnungen des Energieverbrauchs auf und schlug mir die Hand vor den Mund. Meine 30 Sekunden hatten mehr Energie verbraucht als unsere ganze Siedlung in fünf Jahren – kein Wunder, dass nichts mehr funktioniert.


Ich machte mich sofort an die Arbeit, alle Aufzeichnungen zu fälschen. Zum Glück ist das leichter als ein Notfall-Start. Nach einer Weile sitze ich erschöpft am Boden und bereue es, nicht mehr Training in meine Many-Kontrolle gesteckt zu haben. Ich war an jeder Maschine nach der ersten zum Glück erfolgreicher, aber da ich das absolut nicht kann, habe ich viel zu viel meiner eigenen Energie verbraucht. Es ist ein Wunder, dass ich noch bei Bewusstsein bin, aber es musste gemacht werden – für das Hoppla komme ich nicht mit einer Entschuldigung davon.

Ich lachte leise und schrie dann laut: „Fuck!"

Wenn es nicht mal einen defekten Prototyp für mehr als 30 Sekunden mit Energie versorgen kann, was bringt uns unser Kraftwerk eigentlich? Ich wollte weinen. Endlich hatte ich alle Ressourcen, die ich nur wollte, und dann scheitert es an so etwas Simplem wie Energie. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das auf die Schnelle lösen können sollte. Selbst ich brauche bestimmt hundert Jahre, um eine neue Art der Energiegewinnung zu erfinden.

Da kamen sie, die Tränen. Ich versuchte sie zu unterdrücken, doch es ging nicht. Gibt es etwas Traurigeres als einen Geist, der nur von simplen Beschränkungen wie mangelnder Energie aufgehalten wird? Ich hasste die Welt dafür, dass ich zu große Träume hatte.

Nach ein paar Minuten des Selbstmitleids wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und stand auf, erfüllt von einem Eifer wie lange nicht mehr, und sagte: „400. In 400 Jahren werde ich das schon schaffen."

Ich weiß nicht, wo ich das Selbstvertrauen her habe – das aktuelle Kraftwerk ist schon das Modell, für das zwei Generationen unserer besten Köpfe zusammenarbeiteten, und ich glaube, das in 400 Jahren zu übertreffen. Umso mehr ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich mir. Ja, sie waren viele, aber viele Köche verderben die Suppe. Ich bin allein und mache Fehler nur ein einziges Mal – das war es mein ganzes Leben, und so wird es auch bleiben.


Zwei Tage später

Ich saß in meinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und zerbrach mir den Kopf, wie ich überhaupt anfangen will. Ich bin ein Genie der Magie-Tech und Runen-Magie – ich habe nur Grundwissen, was Energiegewinnung angeht. Doch da kommt mir eine Idee. Warum ein neues Gebiet anfangen, wenn ich doch einfach erst mal schauen sollte, was ich mit meinem Kopf und Ehrgeiz hinbekomme?

Doch es war leichter gesagt als getan. Wie könnte ich etwas, das nur dank Many überhaupt funktioniert, dazu bringen, Many zu produzieren? Es ist allgemein bekannt, dass Many von Runen als auch Formeln verbraucht wird. Wie soll ich so einen Gewinn erbringen?

Doch in dem Moment erinnerte ich mich an den Roboter, der wegen einer Abstoßreaktion explodierte. Er hatte mit Sicherheit nicht so viel Many in sich geladen, und doch reichte eine kleine Frequenzindifferenz für eine vergleichsweise große Explosion. Wenn ich das bewusst verursache und skaliere, könnte ich eine unglaubliche Menge an Energie erzeugen. Dass ich hier von einer kontinentalgroßen Explosion sprach, war mir egal, denn wenn das nicht geht, habe ich eh keine anderen Optionen, meinem Traum zu erfüllen.

Aber was ist, wenn ich anstelle Runen nehme, die absolut nicht harmonieren? Dann würde das noch mal exponentiell mehr Gewinn erbringen. Ich dachte an einen meiner ersten Schild-Zauber-Versuche, wo ich Regeneration mit Instanthaltung kombinieren wollte. Gott, war ich jung – keine Ahnung, was Magie-Frequenzen waren, und dachte einfach nur, dass es sinnvoll klingt, und schwups lag ich eine Woche im Krankenhaus und unser halber Dachboden ist zusammengefallen. Aber dadurch habe ich Magie-Frequenzen verstanden.

Was passiert, wenn ich mit Absicht genau die Runen wähle, die sich am meisten abstoßen? Ich kannte jede Rune und ihre Wellenmuster – wenn ich wollen würde, könnte ich den Planeten mit einer Abstoßreaktion vernichten, die das Universum so noch nie gesehen hat.

Da ich nun wusste, wo ich die Energie finden würde, stellte sich nur noch die Frage, wie ich eine riesige Bombe versteckt halte, nicht den Planeten hochgehen lasse und am Ende auch wirklich keine Energie verliere dabei. Mein simpler Plan wurde um einiges komplizierter.


Selber Tag, später Nachmittag

Hra wurde von einem Sturm-Klingeln aus dem Bett geworfen. Sie hatte sich gerade erst hingelegt, und dann klingelt da irgendeiner wie der Sturm. Dem trete ich meine Hufe ins Gesicht, warte nur ab! Sie riss die Tür auf und schrie: „Spinn... Oh hey, was machst du hier?", sagte sie ganz verlegen. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass der Gewinner des letzten Festivals der Störenfriede ist. Da kann sie noch mal ein Auge zudrücken.

„Ja hi, ich bräuchte mal dringend deine starken Arme. Hättest du vielleicht Zeit?", fragte Mio irgendwie sehr nervös, dachte sich Hra. Wieso ist er hier nervös, aber vor dem Auftritt auf der Bühne nicht? Kann es sein? Wegen mir?

„Natürlich habe ich Zeit! Es ist die Pflicht von uns starken Frauen, euch schlauen, schwachen Männern bei der körperlichen Arbeit zu helfen. So hat meine Mutter meinen Vater auch kennengelernt. Aber natürlich will ich damit nicht andeuten, dass wir einander heiraten werden – also zumindest noch nicht. Wir sind ja beide noch nicht mal 450. Was würden die anderen sagen, wenn wir uns so schnell auf ewig binden? Wir müssen mindestens 300 Jahre daten, sonst wirkt es zu überstürzt. Meine Mutter sagt immer: Gut Ding hat Weile. Ich mag den Spruch nicht – habe immer das Gefühl, deswegen etwas verpasst zu haben. Aber was Heiraten angeht, sehe ich ihn als sinnvoll. Wir haben nicht den Luxus wie andere Völker, nach einer falschen Wahl noch mal einen zweiten Versuch zu bekommen. Was ich gut finde – das lässt einen viel ernsthafter über das Ganze nachdenken. Oder wie siehst du das, Mio?", sprudelte es aus Hra heraus.

Mio, etwas überfordert, sagte nur: „Das stimmt – heiraten sollten wir wirklich erst, wenn wir uns deutlich länger kennen. Das ist ja gerade unser zweites Treffen." Er wirkte etwas sehr verwirrt von dem plötzlichen Gespräch über Hochzeit.

Hra nickte nur zustimmend und war beeindruckt, wie vernünftig der von allen als verrückt betitelte Junge doch sein konnte.


Ende Kapitel 2